Nino Niederreiter und der Schweizer Hunger
Nino Niederreiter sagt es klar und deutlich: «Ich habe Hunger», meint der Stürmer der Winnipeg Jets nach dem 4:1 an der WM gegen Kasachstan und lacht. Er meint es wörtlich, doch es passt auch zum neuen Selbstverständnis der Schweizer Eishockeyaner. Das Ziel lautet nicht mehr WM-Viertelfinals wie noch vor ein paar Jahren, die sind mittlerweile Pflicht. Es soll zwingend eine Medaille sein.
Aus diesem Grund tut sich der 32-jährige Star aus der NHL auch eine wahre Mammutreise an. Aus der kanadischen Prärie flog er via Minneapolis und Amsterdam nach Dänemark, kam 40 Minuten vor dem Warmmachen in der Halle an, liess sich von Cheftrainer Patrick Fischer kurz die wichtigsten Spielzüge erklären und stand dann beim letzten Gruppenspiel auf dem Eis.
Gipfeli statt Pasta
«Ich wollte unbedingt vor den Viertelfinals noch einen Match machen», sagt Niederreiter. Die Vorbereitung war, gelinde gesagt, speziell. «Normalerweise gibts Pasta, jetzt wars ein Gipfeli.» Kein Wunder, hat er Hunger.
«Es ist der Nationalstolz», erklärt der Bündner seine Motivation. Und: «Ich sehe auch, dass jedes Jahr etwas machbar ist für unser Team.» Das war nicht immer so. Niederreiter war bereits 2013 bei der ersten Silbermedaille der Neuzeit dabei und erinnert sich: «Die Einstellung und die Mentalität haben sich geändert. Als (Trainer) Sean Simpson damals reinkam und gesagt hat ‹wir träumen von einer Medaille› haben wir uns alle ausgelacht. ‹Das ist ja gar nicht möglich›.»
Patrick Fischer, damals Assistenztrainer von Simpson, hat es etwas anders in Erinnerung. «Es war die Mannschaft, die von der Medaille sprach», sagt er. «Der Groove kam von ihnen.» Wie auch immer: Es war der Startschuss einer steten Entwicklung. «Wir sollten gross denken», betont Niederreiter. «Und seither haben wir grosse Fortschritte gemacht.»
Keine Komplexe mehr
In den neun Jahren, in denen nun Fischer als Chef an der Bande steht, stieg das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten weiter. Einzig bei seinem Debüt 2016 verpasste man die Viertelfinals. In den ersten Jahren war es ab und zu noch knapp, mittlerweile ist das Überstehen der Vorrunde aber kein Ziel mehr, es ist eine Pflichtaufgabe. Teil dieser Entwicklung ist, dass die Schweizer physisch besser wurden, auch vermehrt Spieler ausgesucht wurden, die in den Partien gegen die «Grossen» dagegen halten können.
«Wir sind uns bewusst, dass wir gut Hockey spielen können», streicht Fischer heraus. «Wir wissen, dass auch die Gegner unglaublich gut sind. Aber wir haben die Komplexe abgelegt.» Sie seien nun an einem Punkt, wo sie wüssten, dass sie eine Partie offensiv, aber auch defensiv gewinnen könnten. «Das war früher nicht so.» Und wie die Bauernweisheit so schön sagt: Mit Offensive gewinnt man Matches, mit Defensive Titel. Oder im Fall der Schweiz bisher zumindest Medaillen.
Von unschätzbarem Wert seien die Spiele während der Saison in der Euro Hockey Tour gegen Schweden, Finnland und Tschechien, bei der die Schweiz dank dem Ausschluss Russlands seit drei Jahren dabei ist. «Das ist extrem wichtig. Früher haben wir nur an den WM gegen sie gespielt, jetzt immer», sagt Fischer.
Der Wunschgegner heisst Bülach
Auch deshalb machten sich die Schweizer im Anschluss an das Spiel gegen Kasachstan noch nicht zu viele Gedanken über den Viertelfinal-Gegner, auf den sie bis am späten Abend warten mussten. «Auf diesem Niveau sind alle Topnationen taktisch auf Augenhöhe», erklärt Fischer. «Es sind die Details, die den Unterschied machen. Es geht darum, die Energie und die letzte Entschlossenheit aufs Eis zu bringen.» Und so meinte der Nationaltrainer auf die Frage nach seinem Wunschgegner im Viertelfinal mit Schalk in den Augen: «Bülach.»
Ein bisschen stärker wird der Gegner am Donnerstag schon sein. Immerhin wird Nino Niederreiter bis dann etwas Substanzielles zu essen bekommen haben. Der Hunger auf Edelmetall bleibt hingegen.