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Krisengebiet als Ort für neuen Lebensmut im Film «Hôtel Silence»

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Krisengebiet als Ort für neuen Lebensmut im Film «Hôtel Silence»

13. Juni 2025, 08:56 Uhr
Das «Hôtel Silence» wird im Film zum Ort, an dem neuer Mut geschöpft wird.
© Handout/Filmcoopi
«Hôtel Silence» von der schweizerisch-kanadischen Filmemacherin Léa Pool ist eine Romanverfilmung über Resilienz, Freundschaft und das Fest des Lebens. Der Film ist im Kino zu sehen, nachdem er an den 60. Solothurner Filmtagen für den Prix Soleure nominiert war.

Jean (Sébastien Ricard) ist die Lust am Leben vergangen. Mit etwas über 50 Jahren will der Kanadier sterben. Sein Hausrat ist in Kisten verpackt; was damit geschehen soll, ist aufgelistet; das Seil ist gekauft und der Haken montiert. Als Jean seine Mutter im Altersheim mit seiner Situation konfrontiert, holt diese den Lippenstift aus der Schublade und will ihn auftragen. Sie ist dement, lobt ihn zwar für seine handwerklichen Fähigkeiten, erkundigt sich aber nur noch nach dem Verlauf längst vergangener Kriege. Ihr wird er kaum fehlen.

Doch dann steht Jeans Tochter Rose überraschend vor der Tür. Sie scheint sofort zu spüren, dass ihr Vater etwas im Schilde führt. Als er ihr vorgaukelt, er gehe in die Ferien, ist sie zu Recht beunruhigt. Denn Jean hat sich insgeheim bloss dazu entschieden, seinen Abgang in ein vom Krieg zerstörtes europäisches Land zu verschieben.

Lebensmut an einem Ort der Trauer

Das alles wird im Trailer zu «Hôtel Silence» bekannt. Es ist also keine Vorwegnahme, dass Jean nach seiner Scheidung des Lebens müde ist. Letztlich ist der geplante Suizid nicht einmal das zentrale Thema des Films, der auf dem gleichnamigen Roman von der isländischen Schriftstellerin Auður Ava Ólafsdóttir beruht. Denn ausgerechnet an dem Ort, an dem Jean Zerstörung und die grösste Form der Trauer antrifft, schöpft er neuen Mut. Und «Hôtel Silence» entwickelt sich schnell von einem persönlichen Drama zu einem Film über die Kraft der Gemeinschaft.

Jean hat in einem Städtchen am Strand ein Zimmer in einem gigantischen und ebenso heruntergekommenen Hotel bezogen. Wie ein Kreuzfahrtschiff, das einen Ort ohne Namen gerammt hat und seither dort feststeckt, ragt der weisse Prachtbau aus einem Berg von Schutt und Asche. Vom Deck aus kann man auf das offene Meer blicken. Oder auf einen verlassenen Bahnhof, an dem während des Krieges Menschen erschossen worden sind, wie die Hotelinhaberin Ana (Lorena Handschin) erzählt. Jean befindet sich an einem Ort, der den Schrecken auf der einen und den Blick ins Ungewisse auf der anderen Seite wunderschön repräsentiert.

Nicht nur relativiert dieses Umfeld seine eigene Situation. Die Dorfgemeinschaft lässt ihm auch gar keine Zeit, weiter über sein eigenes Elend nachzudenken. Dass Jean mit nichts als einer Tasche voller Werkzeug angereist ist, hat sich rasch herumgesprochen. Und er wird für alle möglichen Reparaturarbeiten engagiert. Jean säubert Wasserleitungen, renoviert das alte Hotelkino, montiert Türen und hilft mit, einer Gruppe von Frauen ein neues Zuhause einzurichten. Der Mut der Menschen steckt ihn an.

«Hôtel Silence» erzählt keine komplex aufgebaute Story und überraschen mag höchstens die Liebesgeschichte, von der man lange Zeit nicht weiss, in welche Richtung sie sich entwickeln wird. Auch die Dialoge sind einfach gehalten, kippen zuweilen ins Kitschige, und gewisse Szenen sind nicht ganz so überzeugend gespielt. Dennoch bleibt der Film bis zum Ende ergreifend. Die Schicksale der Menschen oder mehr noch ihr Umgang damit berühren nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage.

Herausragende Filmmusik

Die höchsten aller Gefühle sind allerdings der künstlerischen Umsetzung zuzuschreiben. Die Filmmusik des Berner Komponisten Mario Batkovic etwa ist herausragend. Und wem der Plot zu flach sein sollte, der dürfte sich ganz sicher an der Kulisse erfreuen. Der Schauplatz von «Hôtel Silence» ist einzigartig.

Erwähnenswert sind ausserdem die Szenen, in denen der Humor durchdrückt. Nie schmälern sie die Ernsthaftigkeit, die die Handlung verdient - und dennoch helfen gewisse Sprüche, den Film richtig einzustufen. «Hôtel Silence» ist die Verfilmung eines Romans über einen Mann, der an einem fremden Ort neue Lebenskraft findet. Nicht mehr und nicht weniger.*

*Dieser Text von Miriam Margani, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

Quelle: sda
veröffentlicht: 13. Juni 2025 08:56
aktualisiert: 13. Juni 2025 08:56