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Juristischer Roman über den Umgang der Schweiz mit Sans-Papiers

Literatur

Juristischer Roman über den Umgang der Schweiz mit Sans-Papiers

21. Mai 2025, 06:30 Uhr
Die Autorin Isabelle Flükiger erzählt in ihrem neuen Roman «Gloria. Mohammed.» nicht nur von zwei Geflüchteten, die ohne Papiere in der Schweiz arbeiten. Sie taucht auch tief in die Schweizer Gesetzgebung zu Sans-Papiers ein.
© Keystone/ANTHONY ANEX
«Gloria. Mohammed.» von Isabelle Flükiger verbindet die Schicksale zweier Sans-Papiers in der Schweiz mit Recherchen im hiesigen Rechts- und Politiksystem. Faktenreich zeigt die Autorin, dass Menschen in der Schweiz zwar arbeiten, aber nicht existieren dürfen.

Wer in einem so reichen, schönen, von Kriegen verschonten Land wie der Schweiz lebt, hält sich in der Regel für privilegiert und glücklich. Das helvetische Glück aber wird von Unglücklichen mitgeschmiedet. Früher holte man Saisonniers - schönfärberisch «Gastarbeiter» - aus Italien oder Jugoslawien, liess sie für wenig Lohn auf Baustellen malochen und gab ihnen keine Möglichkeit, hier auch zu leben. Heute arbeiten in der Schweiz zahlreiche Geflüchtete ohne Papiere.

Auch deren Bezeichnung ist irreführend: Die wenigsten «Sans Papiers» haben keinen Pass, was ihnen fehlt, ist ein Schweizer Papier, eine Aufenthaltsbewilligung. Dennoch käme etwa das hiesige Baugewerbe ohne sie nicht aus. Sprich: Ihre Arbeitskraft ist durchaus gefragt.

«Wie ist das möglich?», fragte sich die 46-jährige Freiburger Schriftstellerin Isabelle Flükiger. In Ich-Form erzählt sie in ihrem neuen Roman «Gloria. Mohammed.» von der Begegnung mit Gloria aus Kamerun. Diese ist «illegal» in der Schweiz und arbeitet seit über zwanzig Jahren hier als Nanny. Sie zahlt auch in Versicherungen ein, für den Fall, dass sie krank würde, und damit sie später eine Rente hat. «Es war sofort klar, dass ich ihre Geschichte nicht erzählen konnte, ohne in unsere Gesetzgebung einzutauchen - die hat ja das Leben dieser Frau strukturiert», sagt die Autorin.

Ihr Buch könne man als «juristischen Roman» bezeichnen, meint sie weiter, ein Genre, das es im französisch- und im deutschsprachigen Raum bisher nicht gibt. In der lateinamerikanischen Literatur sind während der Aufarbeitung von Militärdiktaturen ähnliche Formen entstanden, die den magischen Realismus ablösten.

Zerbrechliche Existenzen

Acht Jahre lang recherchierte die in der Romandie bekannte und mehrfach ausgezeichnete Autorin für ihr neues Buch «Gloria. Mohammed.» Für wen hat sie es geschrieben? «Für alle, die unser System kompliziert finden, so wie ich! Ich denke gerne, dass dieses Buch ein wenig Klarheit schaffen wird. Ich schreibe ja nicht nur über unsere Migrationspolitik, sondern auch über alles, was auf parlamentarischer Ebene geschieht.» So können Leserinnen und Leser nachvollziehen, wie der Widerspruch, dass Menschen in der Schweiz zwar arbeiten, aber nicht existieren dürfen, zustande kam.

Besonders stossend daran ist, dass eine rechtliche Grauzone geduldet wird, um der Schweizer Wirtschaft nicht zu schaden. Das ist illegal. Wie Mohammed, der 19-jährige Marokkaner, der in der Hackordnung auf der Baustelle ganz unten steht. Im Gegensatz zur hartnäckigen Gloria kann er sich keinen besseren Platz erkämpfen, obwohl er es verzweifelt versucht. «Das Haus seines Lebens hier ist zerbrechlich wie ein Turm aus Streichhölzern», heisst es im Buch. «Ständig fällt es in sich zusammen, es fällt in einem fort.»

Zahlreiche Textversionen

Mehrere Dutzend Textversionen hatte Isabelle Flükiger zeitweise im Computer abgespeichert. In der nun erscheinenden Version ist es ihr vortrefflich gelungen, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen juristischen oder politischen Fakten und den fiktionalisierten Biografien von Gloria und Mohammed. Das eine ist nicht der Rahmen für das andere. Vielmehr wird von beidem gleichberechtigt erzählt, abwechslungsweise, immer wieder durchbrochen von Kommentaren der Autorin zu ihrem eigenen Tun. Letzteres wirkt locker, zuweilen amüsant. Bemerkenswert ist zudem, das Flükiger Wertungen vermeidet. Sie dokumentiert neutral, was Sache ist, lässt Fakten und Figuren für sich sprechen.

Was hat das Langzeitprojekt «Gloria. Mohammed.» für sie verändert? «Erstens verstehe ich unsere Migrationspolitik jetzt besser», antwortet sie, «und zweitens öffnet mir dieses Projekt Türen als Autorin: Ich habe gelernt, mit Dokumenten und Stoffen zu arbeiten, die weit von der Literatur entfernt sind. Ich hoffe, dass es mir Werkzeuge für meine weitere Arbeit an die Hand gibt.»

«Gloria. Mohammed.» erscheint in der deutschen Übersetzung von Ruth Gantert gleichzeitig wie das französische Original «Une Suisse au noir». Anschaulich beschreibt Gantert im Nachwort, wie sie die Amtssprache, die literarischen Metaphern für Gloria und Mohammed und die ironischen Anmerkungen der Autorin und Erzählerin empfunden hat. Ihre Übertragung ins Deutsche ist ein vielschichtiger Lesegenuss."

Zur Person:

Isabelle Flükiger, Jahrgang 1979, ist im freiburgischen Farvagny aufgewachsen und hat in Freiburg Literatur- sowie Politikwissenschaften studiert. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Bern. Sechs Bücher in französischer Sprache sind bisher von ihr erschienen. In deutscher Übersetzung liegt neben dem neuen Titel «Gloria. Mohammed.» der Roman «Bestseller» aus dem Jahr 2013 vor. Zwölf Jahre liegen zwischen den beiden Büchern, und sie sind kaum zu vergleichen. Abgesehen von der prägnanten Ironie der Autorin ist ihnen wenig gemeinsam. In «Bestseller» nahm Flükiger ihre eigene Generation anhand eines verwöhnten Paares Mitte dreissig aufs Korn – das war gute Unterhaltung. Mit dem neuen Buch setzt sie inhaltlich ein politisches Zeichen und geht literarisch ganz neue Wege.*

*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

Quelle: sda
veröffentlicht: 21. Mai 2025 06:30
aktualisiert: 21. Mai 2025 06:30