Familienzuwachs stellt Küngs Tour-Teilnahme infrage
Stefan Küng könnte dieser Tage glatt als Werbesprecher für Schweiz Tourismus durchgehen. Der Ostschweizer lässt an der Tour de Suisse keine Gelegenheit aus, um über die Schönheit des Landes zu sprechen, und wie viel es ihm bedeutet, bei bestem Wetter durch die Heimat zu pedalieren und dabei von den begeisterten Zuschauermassen am Strassenrand angefeuert zu werden.
Seine erste Teilnahme liegt bereits acht Jahre zurück. 2018, 2021 und 2023 gewann Küng jeweils das Auftaktzeitfahren und fuhr danach im goldenen Leadertrikot. Eine solche Gelegenheit bietet sich ihm in diesem Jahr nicht. Die einzige Prüfung im Kampf gegen die Uhr führt am Sonntag von Beckenried hinauf zur Stockhütte - und beinhaltet für einen starken Roller wie Küng definitiv zu viele Höhenmeter.
Geburtstermin im Juli
Auch deshalb hat der erfolgreichste aktive Schweizer Profi seinen Formaufbau mit einem Höhentrainingslager unmittelbar vor der Tour de Suisse so ausgelegt, dass er im Juli seinen Leistungspeak erreicht. Dann möchte er sich den langersehnten Traum vom ersten Tagessieg an der Tour de France erfüllen. Am fünften Tag wartet in der Normandie ein welliges Zeitfahren - beste Bedingungen für ihn, in seiner Paradedisziplin einen Coup zu landen.
Soweit der Plan - zumindest bis vergangenen Dezember. Denn inzwischen ist seine Ehefrau Céline erneut schwanger. Im Frühjahr 2024 erlitt das Paar eine Fehlgeburt, nun steht die Geburt des zweiten Kindes - wieder ein Bub - kurz bevor. Das beeinflusst auch Küngs Rennplanung.
Seit 2017 keine Tour de France verpasst
Die Tour de France beginnt am 5. Juli in Lille, also in gut zwei Wochen. «Es ist tatsächlich so, dass der Geburtstermin in diese Zeit fällt», bestätigt Küng am Rande der Tour de Suisse. «Ich habe den Team-Verantwortlichen dies schon im Dezember mitgeteilt und gesagt, dass, sobald die ersten Anzeichen bei meiner Frau da sind, ich nach Hause fahren würde», so der Thurgauer.
Nun fragt sich: Geht das Team den Poker ein, mit dem Risiko, dass Küng schon sehr früh aus der Rundfahrt aussteigt. Ohne ihren erfahrenen Road-Captain würde Groupama-FDJ jedenfalls eine wichtige Team-Stütze fehlen. Seit seinem Debüt im Jahr 2017, bei dem er im Auftaktzeitfahren in Düsseldorf den Sieg als Zweiter nur knapp verpasst hatte, stand Küng in jedem Jahr bei der Frankreich-Rundfahrt am Start.
«Ich kann mit beiden Szenarien gut leben», sagt Küng vorausblickend. Er lebe für den Radsport, seinen Beruf, führt der mehrfache WM-Medaillengewinner weiter aus. «Aber so etwas ist mir schon nochmals wichtiger. Das versteht auch das Team.»
Gerüchte über Wechsel zu Tudor
Nicht nur privat, auch beruflich wird sich für Stefan Küng bald einiges verändern. «Ich habe dem Team mitgeteilt, dass ich Ende Saison wechseln werde.» Welche Mannschaft seine neue sein wird, weiss Küng zwar bereits, doch verraten will oder darf er es nicht. Der Grund: Laut Reglement des Radsport-Weltverbands UCI dürfen vor dem 1. August keine Verträge offiziell unterschrieben werden.
Küng bestreitet derzeit seine zehnte Saison als Profi, im November wird er 32 Jahre alt. Vieles deutet darauf hin, dass er nach seinen Anfängen bei BMC und dem Wechsel zu Groupama-FDJ im Jahr 2019 bald zum Schweizer Pro-Tour-Team Tudor stösst. Ein Transfer ins Team seines früheren Idols Fabian Cancellara würde aus mehreren Gründen für beide Seiten Sinn ergeben.
Vertrag über mehrere Saisons
Nach der Verpflichtung von Marc Hirschi würde Tudor künftig über einen zweiten Schweizer Fahrer mit Weltklasse-Format verfügen. Im Zeitfahren gehört Küng seit Jahren zu den Besten - da kann ihm bei Tudor keinem das Wasser reichen.
Auch bei den Frühjahrsklassikern wäre Küng hervorragend aufgestellt. In seinen bevorzugten Rennen wie Paris-Roubaix oder der Flandern-Rundfahrt stünde ihm eine starke Helfer-Fraktion zur Seite. Für die Ardennen-Klassiker hingegen wären Frankreichs zweifacher Weltmeister Julian Alaphilippe und Marc Hirschi gesetzt. Die Rollen der Topstars wären also klar verteilt - auch in den grossen Rundfahrten, wo Küng als verlängerter Arm der Teamleitung seine immense Erfahrung einbringen könnte.
Das Engagement bei seinem künftigen Team sei auf «mehrere Saisons» ausgelegt, das konnte Küng bereits verraten. Genug Zeit also, um sich sportliche Träume zu erfüllen, etwa jenen vom Etappensieg an der Tour de France. Werbung in eigener Sache macht Küng längst über die Schweizer Grenzen hinaus.