«Diskussionen sind vorprogrammiert»
Stefan Strebel, Ende August blicken alle nach Mollis. Beim ESAF obliegt Ihnen als Eidgenössisch Technischer Leiter die Einteilung des 1. Gangs. Zaubern Sie wieder überraschende Paarungen aus dem Hut?
«Ich mache keine Paarung, nur weil es sie schon seit sechs Jahren nicht mehr gegeben hat. So habe ich noch nie funktioniert, das finde ich langweilig. Es ist kein Geheimnis, dass ich ein Befürworter von Revanchen bin, und die wird es auch dieses Jahr geben. Ich gab schon Sprüche von mir wie: ‹Der Gang ist noch nicht fertig für mich› - wenn etwa keiner von beiden Schwingern ein Risiko eingegangen ist, sie gestellt haben. Oder wenn gewisse Gänge sehr schnell zu Ende gegangen sind, etwa Staudenmann gegen Wicki. Dann mache ich halt diese Paarung wieder. Gerade beim Eidgenössischen, an dem sie etwas zeigen müssen. Denn keiner der Königskandidaten will mit minus 1,25 Punkten starten. Darum liebe ich den ersten Gang.»
Also läuft es auf Staudenmann gegen Wicki hinaus?
«Nein. Sie verstehen sicherlich, dass ich Ihnen nicht den ersten Gang verraten kann. Dieses Jahr gibt es fünf, sechs Kandidaten, die interessant sind.»
Wen haben Sie denn auf dem Zettel?
«Michael Moser etwa. Weil er noch keinen eidgenössischen Kranz hat, sind Diskussionen vorprogrammiert. Das interessiert den Stefan Strebel aber genau so viel (legt Daumen und Zeigefinger nahe zusammen). Schwingexperten werden monieren, man dürfe ihn nicht mit diesem oder jenem zusammentun. Aber der Moser ist für mich frei.»
Wer ist ausserdem Königskandidat?
«Joel Wicki muss man auf der Rechnung haben. Er ist schon König und hat seit Pratteln Leistung erbracht. Giger, Orlik, Walther, Staudenmann. Das sind alles Topschwinger, die man ohne mit der Wimper zu zucken aufeinander loslassen könnte. Und doch haben alle in diesem Jahr schon verloren. Es müssen einfach spannende Kämpfe sein, gerade im ersten Gang. Es muss diskutiert werden in den Tagen vor dem Fest. Das ist mein Ziel.»
Zerbrechen Sie sich schon Wochen vorher den Kopf über die Spitzenpaarungen?
«Ich habe in diesem Jahr schon 14 Schwingfeste besucht, mir dabei stets Notizen gemacht (zückt sein Smartphone). Diese nehme ich irgendwann zur Hand, setze mich hin und teile ein. Um alle Paarungen zu machen, benötige ich zweimal 90 Minuten.»
Wie muss man sich das vorstellen?
«Vor einigen Wochen bin ich an einem Samstagabend hingesessen, hatte vor mir ein leeres Blatt. Ich habe zehn Paarungen aufgeschrieben und das Blatt anschliessend wieder in die Schublade gepackt. Das waren extreme Paarungen. Zum Zeitpunkt, als ich die aufgeschrieben habe, hätte jeder Experte gesagt: ‹Der Strebel spinnt!› Aber in Anbetracht der Entwicklung von gewissen Schwingern kristallisierte sich heraus, dass die Paarungen gar nicht so verkehrt waren.»
2022 gab es mehrere Spitzenschwinger, die fraglich waren für den Saisonhöhepunkt, allen voran Schwingerkönig Christian Stucki. Dieses Jahr sind die grössten Namen allesamt fit. Erleichtert das Ihre Aufgabe?
«Absolut. Bei Stucki hat man bis am Mittwoch gezittert: Kommt er, kommt er nicht? Damals gab es einen Plan B. Den brauche ich dieses Jahr nicht, weil alle Spitzenschwinger fit sind.»
Von der Spitze zur Basis: Das Bundesamt für Sport hat angekündigt, Subventionen im Bereich Jugend und Sport (J+S) ab 2026 um einen Fünftel zu kürzen. Welche Auswirkungen hätte das auf den Schwingsport?
«Das wäre eine Katastrophe, deren Auswirkungen wir jedoch erst in der Zukunft richtig zu spüren bekommen würden. Kürzungen sind immer negativ, im Nachwuchsbereich aber umso gravierender. Der Sport ist etwas für die Gesundheit, und die sollte doch was wert sein. Ich finde es falsch, dort den Sparhebel anzusetzen, bin mir aber sicher, dass noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.»
Sie waren als Aktiver selber an der Spitze, sind dreifacher Eidgenosse (1998, 2001, 2004 - die Red.). Haben Sie sich während Ihrer Aktivkarriere über Einteilungen aufgeregt?
«Ja logisch, weil ich sie nicht verstand. Ich regte mich auch über Kampfrichter auf, über Notengebungen. Aber manchmal ist es nicht so einfach. Hinzu kam in den letzten Jahren das mediale Interesse, das den Zuschauern wie den Athleten neue Möglichkeiten eröffnet - da nehme ich mich nicht raus. Am Bernisch Kantonalen habe ich nach einem umstrittenen Kampfrichterentscheid das Telefon zur Hand genommen und meinen Sohn angerufen. Der hat für mich den Gang nochmals angeschaut und meine Sicht der Dinge bestätigt.»
Sie brachten vor vier Jahren einen Videoschiedsrichter ins Spiel. Das kam nicht gut an.
«In der Kampfrichterkommission waren 97 Prozent dagegen. Damit war das Thema für mich erledigt. Denn im Schwingsport herrscht Demokratie, auch wenn ich vorne mal poltere.»
Stefan Strebel, lassen Sie uns auf Ihre Funktionärskarriere zurückblicken: Sie sind seit 2020 Technischer Leiter des Eidgenössischen Schwingerverbandes. Zuvor waren Sie während 15 Jahren im Nordwestschweizer Verband tätig. Was hat sich während Ihrer 20-jährigen Funktionärstätigkeit im Schwingsport verändert?
«Es ist alles gläserner geworden - das finde ich super. Aus Schwingfesten wurden Volksfeste, jeder redet mit – auch das ist super. Früher, als ich noch ein Bub war, musste man sich fast schämen, wenn man sagte, dass man schwinge. Heute sind Schwinger angesehen. Alles ist professioneller geworden, das Training, die Rahmenbedingungen. Ich glaube, wir haben den Peak bald erreicht.»
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Schwingsport so populär geworden ist?
«Die Friedlichkeit spielt eine grosse Rolle. Die Besucher müssen keine Angst um ihre Sicherheit haben. Ich war auch schon an einem Cup-Final und neben mir kam ein Stein runter. Da gehe ich nicht mehr hin.»
Sie sind ein Fussballfan, haben eine Saisonkarte beim deutschen Bundesligisten Freiburg und nannten Zlatan Ibrahimovic einst als Vorbild. Was fasziniert Sie am Schweden?
«Er hatte eine gewisse Härte und Gradlinigkeit, ist hingestanden und vorangegangen. Seine unkonventionelle Spielart hat mir gefallen, sein Mut, auch mal aus 40 Metern abzuschliessen. Er hatte auch immer eine klare Meinung. Und er liebte Revanchen, liess nichts auf sich sitzen, wenn er mal auf den Deckel bekam.»
Ibrahimovic polarisierte, auch Sie sind ein Mann der klaren Worte. Wie kam das in der als konservativ geltenden Schwingerfamilie an?
«Der Schwingsport ist gar nicht so konservativ, wie ihr alle denkt. Das Wort konservativ ist negativ behaftet, das mag ich nicht. Wir sind grosse Schritte gegangen in den vergangenen Jahren, waren also quasi das Gegenteil von konservativ. Wie ich angekommen bin, das müssten Sie meine Kollegen fragen. Klar war es nicht immer harmonisch. Aber wir haben immer den Konsens gefunden. Ich bin nie ausgewichen und habe Themen nie unter den Tisch gekehrt. Wenn mal wieder ein böser Brief kam und der Absender drauf war, habe ich das Telefon in die Hand genommen, angerufen und anständig meine Sichtweise dargelegt. Man kann das Amt auch ausüben, ohne zu polarisieren. Aber das war nie mein Ding.»
Ibrahimovic sah sich stets als Gott des Fussballs. Sehen Sie sich im Schwingsport auf ähnlichem Level?
(lacht) «Ich sehe mich gar nicht als Gott. Gewisse Medien titelten in Zusammenhang mit meiner Person vom ‹Schwingerboss›, damit konnte ich leben. Das ist halt auch einfacher zu schreiben als Eidgenössisch Technischer Leiter (schmunzelt). Aber im Grunde genommen bin ich einfach der zweithöchste Schwinger.»
Sie hätten der höchste Schwinger werden können, zogen Ihre Kandidatur für den Posten des Obmanns jedoch zurück, weil es mit Guido Sturny vom Südwestschweizer Verband einen Gegenkandidaten gab.
«Als Technischer Leiter steht man in der Öffentlichkeit, muss Entscheide treffen und macht sich dadurch nicht nur Freunde. Berner, Innerschweizer oder Ostschweizer fühlten sich bei Einteilungen durchaus manchmal benachteiligt. Das hätten sie mich bei einer Kampfwahl spüren lassen können. Gewisse Leute waren überrascht, denn ich bin vom Charakter her schon der Kämpfer, der im Grunde nichts scheut. Das aber habe ich gescheut. Ich wollte mir das nach so langer Zeit im Verband nicht mehr antun, habe mir gesagt: Jetzt ist gut.»
Nach dem ESAF in Mollis treten sie turnusgemäss von ihrem Posten als Eidgenössisch Technischer Leiter zurück. Was wünschen Sie sich zum Abschluss?
«Dass die zwei richtigen Schwinger im Schlussgang sind, wir einen König haben und nicht über einen Erstgekrönten diskutieren müssen. Ausserdem sollen die Eidgenössischen Kränze sauber verteilt sein. Das sind meine Ziele.»