Die Schweizerinnen sind erneut abgestiegen - was nun?
Welche Auswirkungen hat der Abstieg aus der Liga A der Nations League aufs Schweizer Nationalteam?
Der neuerliche Abstieg in die B-Klassigkeit der Nations League ist nach der Niederlage gegen Norwegen kaum ein Thema bei den Schweizerinnen. Weder bei den Spielerinnen noch im Staff. Bei allen Beteiligten liegt der volle Fokus auf der Heim-EM im Juli. Trainerin Pia Sundhage lässt unlängst in Sion verlauten, dass ein Abstieg «keinen Weltuntergang» bedeuten würde und dass sie einen Sieg an der EM einem in der Nations League vorziehen würde. Es sind nachvollziehbare Gedanken in Anbetracht der Strahlkraft, welche die Europameisterschaft in der Schweiz hat. Allerdings darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass am Dienstagabend der Weg der Schweizerinnen ans nächste grosse Turnier nach der EM signifikant schwieriger geworden ist.
2027 findet in Brasilien die WM statt, und während sich die Nationen der Liga A der Nations League auf direktem Weg einen Platz an diesem globalen Grossereignis sichern können, müssen die Teams der unteren Ligen mehrere Runden überstehen, um eine Chance zu haben, in zwei Jahren an die Copacabana zu fliegen. Nach dem Abstieg können sich die Schweizerinnen als Gruppensieger höchstens einen Platz in der Playoff-Phase sichern, in der zwei Aufeinandertreffen mit Teams der Liga A oder B jeweils mit Hin- und Rückspiel überstanden werden müssen. Gehört die SFV-Auswahl dann zu den sieben besten Equipen, die diesen Weg gehen mussten, ist sie in Brasilien dabei. Ansonsten bieten die Playoffs zwischen den Kontinentalverbänden die letzte Chance. Auf diesem Weg werden die letzten drei WM-Tickets vergeben.
Was passiert noch bis zum Schweizer EM-Auftakt am 2. Juli in Basel gegen Norwegen?
Die Nations League geht fast nahtlos in die unmittelbare EM-Vorbereitung über. Am kommenden Montag beginnt in Magglingen das erste von insgesamt drei Vorbereitungscamps. In der Folgewoche trainieren die Schweizerinnen in Nottwil, und noch eine Woche später steht das letzte Camp in Abtwil an. Im Rahmen dieser letzten Vorbereitungswoche bestreitet das Schweizer Team ein letztes Testspiel vor der EM. Am 26. Juni empfängt es Tschechien auf der Winterthurer Schützenwiese. Zwei Tage später bezieht die SFV-Delegation dann ihr Basecamp im Hotel Seepark in Thun, wo sie während des gesamten EM-Turniers, zumindest bis zum Ausscheiden, einquartiert sein wird.
Wann wird das definitive EM-Kader bekannt?
Am kommenden Freitag will der SFV eine Liste von 30 Spielerinnen veröffentlichen, die am Montag ins erste Vorbereitungscamp nach Magglingen einrücken. Es ist eine erste Bestandesaufnahme. Trainerin Sundhage liess aber durchblicken, dass sie auch jungen Spielerinnen eine Chance geben möchte, sich zu zeigen. Insofern wird während der drei Vorbereitungswochen immer Bewegung im Personalbestand sein. Erst am 23. Juni wird diesbezüglich Ruhe einkehren. Dann wird Sundhage an der Zürcher Bahnhofstrasse ihr 23-köpfiges EM-Kader bekanntgeben.
Wie viele Veränderungen zum aktuellen Kader, das nun in der Nations League gegen Frankreich und Norwegen aufgeboten war, sind noch zu erwarten?
Seit Pia Sundhage Nationaltrainerin ist, versucht die Schwedin, sich immer möglichst ein umfassendes Bild der verfügbaren Spielerinnen zu machen. Entsprechend bietet sie auch Fussballerinnen auf, die nicht im Fokus stehen, aber bei ihren Klubteams doch zu den Leistungsträgerinnen gehören. Sie wolle das beste Team, nicht zwingend die besten Spielerinnen aufbieten, lautet eine Devise der 65-Jährigen. Als Beispiel dafür nennt sie Iman Beney. Bei YB agiert die junge Walliserin in der Sturmspitze. Sundhage stellt die 18-Jährige im 3-5-2-System gern als eine der Aussenläuferinnen auf, wodurch Beney im Nationalteam deutlich mehr Defensivaufgaben zu bewältigen hat als im Klub. Aber die Trainerin mag die Qualitäten, welche Beney mitbringt mit ihrer Schnelligkeit und Raffinesse am Ball. Deshalb hält sie an ihrem Plan fest. «Ich bin stur, und ich werde schaffen, dass es funktioniert», sagt sie.
Es ist anzunehmen, dass das Gros der Akteurinnen, die zuletzt dabei waren, auch an der Heim-EM Teil dieses Teams sein wird. Angesichts der Schwierigkeiten in der Offensive wird spannend zu verfolgen sein, wem Sundhage neben der gesetzten Sydney Schertenleib sonst das Vertrauen schenkt. Naomi Luyet machte im Oktober beim 2:1 gegen Frankreich mit einem Traumtor auf sich aufmerksam, fehlte danach aber lange verletzt. Dass die Walliserin ein belebendes Element sein kann, hat sie nicht zuletzt im Final der Women’s Super League gezeigt, als sie YB auf dem Weg zum Meistertitel gegen GC neuen Schwung verlieh und an den Toren zur Aufholjagd entscheidend beteiligt war. Sundhage ist jedoch der Meinung, dass alle Spielerinnen nicht nur gesund, sondern auch fit sein müssten, damit sie bei Bedarf 90 Minuten durchhalten könnten. Da setzt sie bei Luyet aktuell ein Fragezeichen.
Auch die Goalieposition sorgte zuletzt für Gesprächsstoff. Nach Unsicherheiten von Elvira Herzog bekam zuletzt zweimal Livia Peng das Vertrauen, doch auch die Bündnerin agierte nicht immer stilsicher. Das Einzige, was sicher ist, ist, dass die Diskussionen wohl bis zur EM nicht verstummen werden. Zumal Sundhage von einem klaren Bekenntnis absieht. Sie sagt: «Elvira kann die Nummer 1 sein, Livia kann die Nummer 1 sein, auch Nadine Böhi kann an der EM die Nummer 1 sein. Wir werden sehen.»
Gegen Norwegen und Island spielen die Schweizerinnen neben Finnland auch an der EM. In der Nations League blieben sie gegen diese Teams sieglos. Ist eine Qualifikation für die Viertelfinals überhaupt realistisch?
Der mutige Auftritt gegen Norwegen am Dienstag hat nach dem desolaten Vortrag gegen Frankreich am Freitag wieder etwas Hoffnung geschürt. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Schweizerinnen die EM-Vorbereitung nicht mit dem grössten Selbstvertrauen in Angriff nehmen. Bei der Auslosung der Gruppen war der Tenor klar: Die Viertelfinals müssen das Ziel sein, da Island und Finnland schwächer einzustufen sind. Auf dem Papier hat sich daran nichts geändert.
Aber die Schweizerinnen müssen in den wenigen Wochen bis zum EM-Start Wege finden, ihre defensiven Mängel zu beheben und offensiv endlich wieder regelmässig Tore zu erzielen. Ansonsten könnte die Heim-EM wie bereits die EM-Turniere 2017 und 2022 nach der Gruppenphase zu Ende sein. Nach der Partie gegen Norwegen wird Pia Sundhage gefragt, ob es die grösste Herausforderung ihrer Trainerkarriere sei, dieses Schweizer Team innert weniger Wochen von einem Verlierer- in ein Gewinnerteam zu verwandeln. Die Antwort, kurz und trotzdem vielsagend: «Ja».