Die «neuen» Grasshoppers stehen vor zwei Schlüsselspielen
Gerald Scheiblehner wirkt entspannt, als er am Freitagnachmittag am GC-Hauptsitz an der Zürcher Schifflände auf die anstehenden Schlüsselspiele gegen die zwei mutmasslichen Abstiegskandidaten Winterthur und Thun und auf seine ersten zwei Monate als Trainer der Grasshoppers blickt. Auf dem Balkon hängt - gut, aber etwas provisorisch befestigt - die Klub-Fahne. Zehnmal mussten die Grasshoppers diese in den letzten Monaten ersetzen; einige der Passanten an der Fluss-Promenade zum Bellevue sehen sie als schönes Souvenir.
Der rege Diebstahl impliziert zumindest etwas Gutes: Die Grasshoppers sind in der Stadt wieder sichtbar, und sie lassen viele nicht kalt. Doch der Weg zurück zum verblassten Ruhm der Vergangenheit bleibt auch eineinhalb Jahre nach dem letzten Besitzerwechsel steinig. Seit einer Antrittsrede mit gesalbten Worten und wohlklingenden Ankündigungen der amerikanischen Präsidentin Stacy Johns blieben grössere Investitionen weiter aus - wohl nicht zuletzt, weil das strukturelle Defizit ohnehin schon gross ist.
Der jüngste Umbruch nach zwei Saisons in Abstiegsgefahr macht aber Hoffnung. Vor allem Alain Sutter, seit Mai der neue Sportchef, bringt einen neuen Geist in den Klub - «ein positives Klima, das es für alle und besonders für mich, der aus dem Ausland kommt, einfacher macht», sagt Gerald Scheiblehner, der im Mai den Trainerposten übernahm.
Dieses Umfeld mache die Arbeit angenehmer, schildert der hierzulande zuvor wenig bekannte Scheiblehner. Wobei auch der neue Coach dazu beiträgt, der nach vier Jahren bei Blau-Weiss Linz in seiner Heimatstadt zum ersten Mal einen Trainerjob im Ausland ausübt. Wie Sutter kommt auch auch der 48-jährige Österreicher bislang gut an mit seinem Gespür für Zwischenmenschliches, der umgänglichen Art und dem Sinn für Humor.
Auch am Verständnis für gewisse Zwänge fehlt es dem Trainer nicht. «Die letzten zwei Jahre bei GC waren, glaube ich, sehr, sehr schwierig. Zweimal spielte die Mannschaft gegen Abstieg, das geht an die Nerven. Da ist es richtig, dass man diesen Rucksack abwirft. Frisches Blut tut in dieser Situation gut.»
Delikates Unterfangen
Trotz der Aufbruchstimmung bleibt Scheiblehners Auftrag delikat. Er ist es, der die von Sutter mit bescheidenen Mitteln stark umgebaute und signifikant verjüngte Mannschaft in einem ersten Schritt aus der Abstiegszone führen soll.
Die bisherigen Eindrücke sind gespalten. Insbesondere beim 2:3 zum Auftakt gegen Luzern, aber auch beim 1:2 in Basel, beim 1:1 bei Servette und besonders beim 1:2 in einem Testspiel gegen Bayern München, als mit Captain Amir Abrashi die grosse Leader- und Identifikationsfigur verletzungsbedingt nicht mit von der Partie war, zeigte die Mannschaft gute Ansätze.
Stürmer Luke Plange (22) etwa spielte seine Qualität verschiedentlich aus, Innenverteidiger Saulo Decarli (33) sorgte insbesondere in Genf für Stabilität, einige der jungen Italiener, allen voran Dorian Paloschi, deuteten ihre Veranlagung für eine Karriere auf höherem Niveau an. «Die Spieler machen einen frischen Eindruck und hören zu», sagt Scheiblehner erfreut.
Doch auch die Unerfahrenheit machte sich bemerkbar. Bei der Auftaktniederlage unterliefen Yannick Bettkober (20) entscheidende Fehler. Beim verkrampften Cup-Auftritt gegen den tief stehenden interregionalen Zweitligisten Lachen/Altendorf (2:0 dank zwei Toren in der Schlussphase) fehlte es an Ideen. «Wir wussten mit dem Ballbesitz nicht viel anzufangen. Wir brauchten zu lange, es fehlten die Ideen. Einige Junge gingen mit der Situation nicht gut genug um. Es war ein ein glücklicher Sieg», räumt Scheiblehner in seiner direkten Art ein.
Rückschläge programmiert
Rückschläge wie diese gehörten bei einer jungen Mannschaft dazu, betont Scheiblehner. «Der Cup-Match soll ein Fingerzeig sein. Wichtig ist, dass die Spieler an Momenten wie diesen wachsen und solche Erfahrungen schnell abhaken. Dann kommt es gut.» Seine Zuversicht zieht der Trainer aus der positiven Entwicklung, die Spieler und Mannschaft seit dem ersten Testspiel, einem 1:1 gegen Vaduz, genommen haben.
Gegen Vaduz habe er sich gefragt, ob man mit der jungen Mannschaft mithalten könne in der Super League, sagt Scheiblehner. «Seither war die Entwicklung gut. Ich bin einer, der die Jungen fördert, und ich bin überzeugt von den Spielern hier. Ausserdem haben wir nicht nur Junge und solche wie Lovro Zvonarek, die trotz des junge Alters abgeklärt auftreten. Wir haben eine gute Mischung.»
Zu den wenigen Erfahrenen im Team gehört neu Oscar Clemente (26) - «ein sehr guter Spieler», wie Scheiblehner sagt. Der bei Atlético Madrid ausgebildete Spanier ist gegen Winterthur bereits spielberechtigt. Er trainierte indes erst am Freitag zum ersten Mal mit der Mannschaft und wird deshalb am Sonntag möglicherweise noch nicht von Beginn auflaufen.
Ob die Transfertätigkeiten der Grasshoppers damit abgeschlossen sind, ist etwas mehr als zwei Wochen vor der Schliessung des Fensters noch offen. «Das meiste vom Umbruch haben wir geschafft. Wenn noch einer kommt: schön. Das muss aber nicht sein. Wir schauen genau, dass die Neuen charakterlich ins Team passen.»
Ungeachtet der noch offenen Planstellen im Kader macht Scheiblehner keinen Hehl aus der Bedeutung der anstehenden Partie gegen Winterthur und jener in einer Woche gegen Thun. Man habe «grosse Erwartungen», sagt der Coach. «Geht es gegen Teams wie Winterthur oder Thun, kann man nicht sagen, dass dies unwichtige Spiele sind. Wir wollen zeigen, dass wir in der Liga angekommen sind. Ein Sieg muss her!»