Der Sieg bei der Heimrundfahrt führt über Marlen Reusser
Im Interview mit Keystone-SDA spricht die 33-jährige Reusser über die «Herzensangelegenheit» Tour de Suisse, ihren Teamwechsel zu Movistar, der «extrem schwierigen Zeit» im vergangenen Jahr und ihre Lehren daraus.
Marlen Reusser, im Mai gewannen Sie überlegen die Burgos-Rundfahrt, nun steht die Tour de Suisse an. Was erhoffen Sie sich von der Heimrundfahrt?
«Nach der Burgos-Rundfahrt, bei welcher ich vorne weg fuhr, absolvierte ich noch ein Höhentrainingslager in Andorra. Seit Sonntagabend bin ich in der Schweiz, seither habe ich viele Termine wahrgenommen. Dementsprechend war es etwas weniger erholsam. Doch die Tour de Suisse ist eine Herzensangelegenheit für mich. Auch sollte ich meine Form in der kurzen Zeit nicht eingebüsst haben.»
Sie haben vor zwei Jahren die Tour de Suisse zu Ihren Gunsten entschieden. Wie gut sind die kommenden vier Tage auf Sie zugeschnitten?
«Nicht besonders, so würde ich sagen. Das Schöne ist, dass die Rundfahrt ganz nahe an meiner engeren Heimat vorbeiführt und ich wohl viele von der Familie am Strassenrand sehen werde.»
Was fehlt Ihnen auf den rund 500 Kilometern und 7000 Höhenmetern von Gstaad bis Küssnacht am Rigi?
«Ich hätte es natürlich gerne gehabt, wenn noch ein Zeitfahren und ein sehr langer Berg vorkommen würden. Aber die Tour ist sehr, sehr cool gestaltet und es sind die besten Fahrerinnen am Start. Es wird sehr aufregend.»
Was muss passieren, damit Sie am Sonntag nach der Tour zufrieden sind?
«Ich habe echt Lust, ein gutes und mutiges Rennen zu fahren. Man kann im Vorfeld immer schlecht von Resultaten reden. Aber ich glaube, dass wir als Team etwas probieren werden. Wir wollen liefern und hoffen, dass es mit dem Sieg klappt.»
In den vergangenen Jahren fuhren Sie für SD Worx. Dieses Team dominierte - dank Fahrerinnen wie Demi Vollering, Lotte Kopecky und Ihnen -, die World Tour. Auf diese Saison hin wechselten Sie zum Team Movistar. Was hat das geändert?
«Bei Movistar bin ich die Leaderin fürs Gesamtklassement bei den Rundfahrten wie auch für die Eintagesrennen im Frühling. Das ist für mich immer noch speziell, weil ich eben aus einem Team komme, bei welchem die Weltnummern eins, zwei und drei unter Vertrag standen und dementsprechend konnte ich oft nicht auf eigene Rechnung fahren. Diese besondere Situation hat sich nun aufgelöst und verteilt (neben Reusser wechselte auch Vollering das Team - Red.). Für mich ist es eine komplett andere, neue und wunderbare Situation.»
Sie litten 2024 monatelang an Long Covid und verpassten dadurch alle wichtigen Rennen, von der Tour de Suisse über die Olympischen Spiele und die Tour de France bis zur Heim-WM in Zürich. Wie war es Ihnen möglich, so schnell wieder so gut in Form zu sein?
«Das ist eine sehr gute Frage, die wir uns oft auch stellen. Eine wichtige Sache ist, dass ich körperlich nicht versehrt war. Also in dem Sinne, dass ich ein Bein oder so gebrochen hatte. Ich litt vielmehr am Chronischen Erschöpfung-Syndrom. Sobald es besser ging, konnte ich wieder normal zu trainieren beginnen. Seither erlebte ich keine grösseren Rückschläge mehr. Alles ist wieder auf Grün, vieles läuft sehr gut und das zahlt sich dann auch in den Rennen aus.»
Eine Nachfrage, weil Sie die körperliche Unversehrtheit ansprechen. Wäre es vielmehr nicht einfacher gewesen, wegen eines Knochenbruchs aussetzen zu müssen? Da weiss man recht genau, wie viele Wochen oder Monate man aussetzen muss.
«Auf jeden Fall. Das wäre viel, viel einfacher gewesen, das weiss jeder, der mal eine Diagnose hat. Ohne eine solche ist es extrem frustrierend. Das sind sehr schwierige Situationen für die Betroffenen und für mich war es selbstverständlich auch schwierig.»
Was löst es aus, wenn Sie jetzt, wo es Ihnen wieder gut geht, auf die sehr schwierige Phase Ihres Lebens zurückblicken?
«Es ist ein Erstaunen, aber auch ein Dankbar-Sein. Diese extrem schwierige Zeit relativiert das Leben, man sieht es anders. Es geht darum, Freude zu haben. Wir sind immer noch ‹baff›, wenn ich mit meinem Partner oder auch der Familie zurückblicke und darüber rede.»
Zurück zum Sportlichen: Nach der Tour de Suisse folgt mit dem Giro d'Italia eines Ihrer Hauptziele. Was sind daneben noch die weiteren Highlights der zweiten Saisonhälfte?
«Der Giro beginnt mit einem Auftaktzeitfahren (am 6. Juli in Bergamo - Red.) und ist auch in der Folge sehr auf mich zugeschnitten. Das ganze Team priorisiert diese Rundfahrt. Ich plane danach auch mit der Tour de France und der WM in Ruanda. Aber ich nehme alles Schritt für Schritt.»
Ist das vielleicht auch eine Lehre aus dem letzten Jahr?
«Absolut. Teils sprach ich jahrelang von gewissen Rennen und Zielen, am Schluss konnte ich aber gar nicht fahren. Deshalb gehen wir nach der Tour de Suisse mal mit Vollgas in den Giro. Dort einen Sieg feiern zu können, wäre mega cool. Alles andere kommt danach.»