Der Airbag als Teil der Sicherheitsdebatte
Wenn die Tour de Suisse dieser Tage durchs Land rollt, begeistert sie nicht nur die Massen am Strassenrand, im Peloton fährt auch eine Portion Risiko mit. Nicht selten werden in Abfahrten Tempi von über 100 km/h erreicht, dabei sind die Fahrer lediglich durch einen Helm geschützt. Welche verheerenden Folgen Stürze haben können, zeigten zuletzt die tödlichen Unfälle von Gino Mäder vor zwei Jahren am Albulapass oder jener von Muriel Furrer an der Heim-WM im letzten Herbst.
Der Weltverband UCI registrierte in der vergangenen Saison insgesamt 497 Vorfälle in der WorldTour, der Women’s World Tour und der ProSeries, die zu Unfällen geführt haben. Mehr als ein Drittel davon (35 Prozent) waren demnach «unprovozierte» Fahrfehler. Daraufhin hat die UCI mit der Einführung einiger Massnahmen reagiert, so werden ab dieser Saison unter anderem Gelbe Karten zur Sanktionierung gefährlicher Fahrmanöver verteilt. In ihrem Schreiben vom Januar informierte die UCI auch, dass die Idee von Airbags geprüft wird.
Andere Sportarten machen es vor
Das Thema ist in der Sportwelt nicht neu und hat in der Reit- oder Motorrad-Szene schon Einzug gehalten. Ab kommendem Winter gilt auch im Ski-Weltcup nach einer zweijährigen Übergangsphase eine Airbag-Pflicht, zumindest was die Speed-Disziplinen Abfahrt und Super-G anbelangt. Der Widerstand war zunächst gross, etwa wegen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oder des Gewichts der Systeme.
Skepsis begleitete auch die Einführung des Halo-Systems in der Formel 1 im Jahr 2018 - ein Titanbügel über dem Cockpit zum Schutz des Kopfes. Die Beeinträchtigung der Sicht war ein grosser Kritikpunkt, ebenso die Ästhetik. Heute ist der Halo nicht mehr wegzudenken. Er hat schon etliche Male Schlimmeres verhindert.
Um die Zuverlässigkeit der Technologie zu beweisen, hat der Internationale Skiverband FIS nach eigenen Angaben 7000 Tests durchgeführt. So weit ist man bei der UCI noch nicht. Es werden zwar schon Airbags fürs Velofahren hergestellt, doch entweder sind die Produkte nicht spezifisch für den Rennsport entwickelt, oder sie befinden sich noch in einer Test- oder Pilotphase.
Unterschieden wird zwischen einer Art Mini-Rucksack oder Halskrausen. Letzterer ist gerade für Velo-Pendler attraktiv, weil auf einen Helm verzichtet werden kann und somit die Frisur unversehrt bleibt. Das System funktioniert so, dass Sensoren die Bewegungen des Fahrers kontinuierlich überwachen, um ungewöhnliche Bewegungen zu erkennen und den Airbag auszulösen. Dadurch wird der Kopf- und Nackenbereich geschützt.
Offene Ohren
Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA hat sich an der Tour de Suisse umgehört, was die Schweizer Protagonisten zum Thema Airbag sagen. Laut Raphael Meyer, dem CEO des Schweizer Tudor-Teams, hat es diesbezüglich mit der UCI noch keinen Kontakt gegeben.
Für Olivier Senn, der Direktor der Tour de Suisse, ist das Thema «definitiv eine Diskussion wert». Er stellt sich grundsätzliche Fragen: «Was ist überhaupt möglich? Gibt es Bereitschaft bei Teams, Fahrern und Herstellern, sich dieser Technologie zu widmen?»
Von Fahrer-Seite kommen grundsätzlich positive Signale - persönliche Erfahrungen mit Airbag-Systemen gibt es bislang aber keine. «Wenn es um mehr Sicherheit geht, bin ich nie abgeneigt», sagt etwa der Schweizer Strassen-Meister Mauro Schmid stellvertretend. Gleichzeitig sieht er technische Hürden: «Gerade im Sommer bei grosser Hitze wäre das eine zusätzliche Belastung.»
Auch Stefan Küng zeigt sich offen: «Wir sollten alle Optionen prüfen. Wenn es für alle Pflicht wird, ist es am Ende für niemanden ein Nachteil.» Entscheidend sei, dass die Systeme auf die spezifischen Anforderungen des Radsports angepasst werden.
Silvan Dillier zieht einen Vergleich zur Einführung der Scheibenbremsen: «Am Anfang waren viele Profis dagegen. Heute sind sie Standard.» Innovationen bräuchten Zeit - von der Idee bis zur marktfähigen Umsetzung, so Dillier.
Entscheid liegt bei der UCI
Für Tour-Direktor Senn steht fest: «Ein funktionierender Airbag wäre ein grosser Gewinn - aktuell sind die Fahrer fast ungeschützt unterwegs.» Küng ergänzt: «Wenn man damit auch nur einen Knochenbruch verhindern kann, wäre es die Investition wert.»
Ob Airbags im Profiradsport tatsächlich zur Pflicht werden, entscheidet letztlich allein die UCI.