Das Taktieren beginnt schon vor den Mikrofonen
Es dauert nur ein paar Sekunden, bis sie kommt. Die Frage, die allen Anwesenden unter den Nägeln brennt. Wird Lia Wälti am Mittwoch, wenn das Schweizer Nationalteam um 21 Uhr gegen Norwegen in die Heim-EM startet, auf dem Feld stehen, oder erneut nur von der Tribüne aus zuschauen können? In der langen Vorbereitung, welche die Schweizerinnen von Magglingen, über Nottwil und Abtwil bis nach Basel geführt hat, hat die Captain vorwiegend ein individuelles Programm absolviert. Die Mittelfeldspielerin von Arsenal laboriert schon lange an einer Knieverletzung, deshalb wollten weder Wälti, noch Nationaltrainerin Pia Sundhage zu früh ein Risiko eingehen.
Wältis Balance in der Reha
Die verletzungsbedingten Ausfälle von Lara Marti, Ramona Bachmann und Luana Bühler haben dem Staff des Nationalteams gezeigt, wie schnell es gehen kann, dass der EM-Traum platzt. Wälti sitzt am Dienstagabend im Pressezentrum des St.-Jakob-Parks. Es ist heiss. Ventilatoren sind ein gesuchtes, aber rar gesätes Gut. Gaëlle Thalmann hat vorausgedacht und ihren eigenen, handlichen Ventilator mitgenommen.
Die ehemalige Nationaltorhüterin sitzt in der hintersten Reihe, vor ihr Sandy Maendly, ein paar Stühle weiter rechts Martina Moser. Die Grössen, welche die Schweiz an vorherigen Turnieren repräsentiert haben, wollen hören, was Wälti und Sundhage zu sagen haben, am Tag bevor die Heim-EM endlich losgeht.
«Ich habe hart dafür gearbeitet, heute hier zu sitzen», sagt Wälti. «Aber ob ich auf dem Platz stehen werde, ist der Entscheid der Trainerin.» Es ist so ein Satz, den Spielerinnen sagen, wenn sie etwas sagen wollen, ohne wirklich etwas zu sagen. Aber einen Tag vor dem ersten Spiel an einer EM beginnt das Taktieren schon vor den Mikrofonen.
Es überrascht nicht, stehen weder Wälti noch Sundhage hin und verkünden, dass die Schweiz mit ihrer wohl wichtigsten Einzelspielerin auflaufen wird. Das Überraschungsmoment soll gewahrt werden, schliesslich können in so einer Partie, vor so einer Kulisse, Nuancen darüber entscheiden, ob das Ziel, erstmals in die Viertelfinals einer Europameisterschaft einzuziehen, am Donnerstag näher gekommen ist für die Schweiz oder schon deutlich unrealistischer.
«Wenn ich nicht genug fit gewesen wäre, wäre ein Forfait wie bei Luana auch für mich ein Thema gewesen», sagt Wälti. «Aber ich habe versucht, in der Reha immer die Balance zu halten zwischen Risiko und Vorsicht.» Das Team habe nach den Ausfällen schon genug wichtige Spielerinnen und viel internationale Erfahrung verloren. «Jetzt ist es wichtig, dass wir zusammenbleiben und erfolgreich in dieses Turnier starten.»
«Sie macht alle besser»
Pia Sundhage lauscht den Aussagen Wältis. Mit weissen Kopfhörern lässt sie sie sich auf Englisch übersetzen. Danach setzt sie zur Lobeshymne für die Emmentalerin an. Wälti sei eine Spielerin, die auf dem Fussballfeld nie aus der Ruhe gerate und auch unter Druck gute Entscheide treffe. «Wenn sie auf dem Feld steht, ist das im Team spürbar. Sie macht alle ihre Mitspielerinnen besser.»
Die Skandinavierin sagt, wie sie in einem Dilemma stecke – dem Dilemma, Wälti weiter Erholungszeit zu gönnen und sie erst in den Gruppenspielen gegen Island und Finnland einzusetzen. Oder aber das Risiko einzugehen, und sie schon gegen Norwegen aufs Feld zu schicken. «Es ist wirklich keine einfache Situation», sagt Sundhage. Ehe ein Medienschaffender sein Glück noch ein letztes Mal versucht und auf die Antwort hofft, die alle hören möchten: Wird Lia Wälti denn nun spielen? Sundhage lächelt und sagt: «We will see.»