Gaza-Konflikt gefährdet israelisch-arabische Normalisierung
Chaos im Gazastreifen: Zehntausende auf der Flucht
Unterdessen waren im Gazastreifen vor einer erwarteten israelischen Bodenoffensive Zehntausende Zivilisten auf der Flucht in den Süden des Gebiets. Die israelische Armee hatte über zwei zeitlich begrenzte Fluchtrouten informiert, die bis zum Samstagnachmittag von Angriffen verschont bleiben sollten.
Seit den beispiellosen Hamas-Massakern in Israel am Samstag vergangener Woche fliegt das israelische Militär heftige Luftangriffe auf Ziele im Gazastreifen. Dabei wurden nach Angaben des israelischen Militärs vom Samstag auch zwei der mutmasslichen Hamas-Drahtzieher der blutigen Angriffe getötet. Die Zerstörungen sind massiv. Insgesamt starben im Gazastreifen mehr als 2200 Menschen, über 8700 wurden verletzt, wie das Gesundheitsministerium mitteilte.
Scharfe Kritik an Israel von Nachbarländern
Saudi-Arabien und auch Ägypten, mit dem Israel schon 1979 Frieden geschlossen hat, kritisierten den Aufruf des israelischen Militärs zur Massenevakuierung von mehr als einer Million Bewohnern des nördlichen Gazastreifens scharf. Saudi-Arabien lehne die «Zwangsumsiedlung ab», teilte das Aussenministerium mit. Alle Formen der militärischen Eskalation, die sich gegen Zivilisten richteten, müssten gestoppt werden. Den Menschen im Gazastreifen seien die Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben entzogen worden, was «einen Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht» darstelle, hiess es aus Riad. Ägypten sprach von «einer schwerwiegenden Verletzung der Regeln des humanitären Völkerrechts».
USA und Saudi-Arabien betonen bei Blinken-Besuch Zusammenarbeit
Die USA und Saudi-Arabien haben angesichts des beispiellosen Massakers von islamistischen Hamas-Terroristen auf israelische Zivilisten ihre Zusammenarbeit betont. Der gemeinsame Austausch sei wichtig, sagte US-Aussenminister Antony Blinken bei einem Treffen mit seinem saudischen Amtskollegen Faisal bin Farhan Al Saud am Samstag in Riad laut einem Transkript des US-Aussenministeriums. Dieser äusserte sich demnach ähnlich. Es sei wichtig, sicherzustellen, dass dieser Konflikt nicht auf andere Orte und andere Fronten übergreife.
Wasser im Gazastreifen wird knapp
Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) warnte mit drastischen Worten vor einer lebensbedrohlichen Wasserknappheit für die Menschen im Gazastreifen durch die israelische Blockade. «Es ist eine Frage von Leben und Tod geworden», sagte Philippe Lazzarini, UNRWA-Generalkommissar. Es müsse dringend Treibstoff geliefert werden, um Wasser für zwei Millionen Menschen bereitstellen zu können. «Die Menschen, darunter kleine Kinder, Ältere und Frauen, werden an schwerer Dehydrierung sterben», warnte Lazzarini.
Israel macht Ende der Blockade von Geiselfreilassung abhängig
Nach den blutigsten Massakern an israelischen Zivilisten seit der Staatsgründung hat Israel den nur 40 Kilometer langen und zwischen sechs und zwölf Kilometern breiten Küstenstreifen abgeriegelt. Die Wiederaufnahme der Versorgung macht die Regierung von der Freilassung von bis zu 150 von der Hamas verschleppten Israelis abhängig. Einem unbestätigten Medienbericht zufolge bargen israelische Soldaten bei ersten begrenzten Kommandounternehmen im Gazastreifen Leichen von Verschleppten. Die Hamas berichtete, bisher seien 22 Geiseln durch israelischen Beschuss gestorben.
Irans Aussenminister warnt Israel vor Angriffen gegen Hisbollah
Irans Aussenminister warnte Israel vor Angriffen gegen die Schiitenorganisation Hisbollah im Südlibanon. «Hinsichtlich der Szenarien gegen die Hisbollah wird jede Aktion ein Erdbeben gegen die Zionisten sein», sagte Amirabdollahian in Beirut.
International wächst die Sorge, dass sich der Konflikt zu einem Flächenbrand entwickelt. Viele Beobachter blicken dabei auf die Hisbollah, die mit der Hamas verbündet ist und bereits 2006 in einen Krieg mit Israel verwickelt war. Die Organisation gilt als treuer Verbündeter des Irans. Seit dem vergangenen Wochenende kam es an der israelisch-libanesischen Grenze zu mehreren Gefechten mit Toten auf beiden Seiten. Auch ein Reuters-Journalist wurde getötet.
Experten hatten die Vermutung geäussert, dass es die islamistische Hamas mit ihrem verheerenden Angriff auf Israel darauf abgesehen haben könnte, die unter Vermittlung der USA angestrebte Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien zu verhindern.
UN warnen vor Katastrophe
Die UN befürchten nach Angaben eines Sprechers eine «katastrophale Situation», sollte die Armee in das dicht besiedelte Küstengebiet einmarschieren. Augenzeugen berichteten von Panik unter der Bevölkerung. Die UN forderten Israel auf, die Anweisung zur Evakuierung der etwa 1,1 Millionen Menschen zu widerrufen. UN-Generalsekretär António Guterres forderte sofortigen Zugang zum Gazastreifen für humanitäre Hilfe. Auch der EU-Aussenbeauftragter Josep Borrell bezeichnete die Massenevakuierung als unmöglich.
US-Präsident Joe Biden sicherte Israel erneut die Solidarität zu, äusserte sich aber ebenfalls besorgt. «Wir dürfen die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass die überwältigende Mehrheit der Palästinenser nichts mit Hamas oder den abstossenden Attacken der Hamas zu tun hat», sagte Biden.
Auswärtiges Amt: 2800 Deutschen und Angehörigen bei Ausreise geholfen
Das Auswärtige Amt hat nach eigenen Angaben etwa 2800 Bundesbürger und Familienmitglieder bei der Ausreise aus Israel unterstützt. Die Menschen hätten das Land nach Beginn der Angriffe der islamistischen Hamas vor einer Woche zu Land, Luft und See verlassen. An diesem Sonntag gebe es eine Ausreisemöglichkeit mit Sonderflügen der Fluggesellschaft Condor aus der jordanischen Stadt Akaba, die direkt an der Südgrenze Israels liegt.